Stadt und Kirchspiel Wolbeck
Die Chronik

Wolbecker Chronik für das Jahr 1909


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Sa 09.01.1909: Der Landwirt Josef Friedrich Garthaus stirbt im Alter von 57 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. Er war unter dem Namen "Der Wolbecker Doktor" bekannt gewesen und hatte an manchen Tagen bis zu 200 Personen behandelt, die auch aus dem Ausland angereist waren und stundenlange Wartezeiten in Kauf genommen hatten.
Am 17.02.1909 druckt der "Iserlohner Kreisanzeiger" den folgenden, langen Nachruf: "Der weit über die Grenzen des westfälischen Münsterlandes bekannte 'Wunderdoktor' Josef Garthaus ist kürzlich in seiner Residenz Wolbeck bei Münster im Alter von 57 Jahren gestorben, und man darf jetzt neugierig darauf sein, welchen verborgenen Heilkünstler nunmehr die Westfalen zu ihrem besonderen Vertrauensmanne, ihrem 'Medizinmann' erklären werden; denn ohne einen solchen geht es nun einmal nicht.
Der Name des verstorbenen Garthaus ging im vorigen Jahre durch die Presse, als er vom Steuerfiskus wegen Steuerhinterziehung vor Gericht gestellt worden war. Dabei kam es zu Tage, daß der Wolbecker Wasserdoktor ein Jahreseinkommen von 11000 Mark zu versteuern hatte. Der allezeit liebenswürdige Steuerfiskal wollte aber dem Wolbecker Volksäskulap sogar 14000 M Jahreseinnahme zuerkennen, während dieser sich bescheiden nur auf 9000 M eingeschätzt hatte. Die Welt staunte damals über eine solche respektable Einnahme bei einem schlichten Dorfzauberer. Noch mehr aber wird der Leser staunen, wenn er hört, daß der Wunderdoktor von Wolbeck kein sogenannter Blutegel war, sondern von seinen Klienten als Durchschnittshonorar nur den bescheidenen Obolus von 50 Pfennig erhob. Dabei waren in dieses Honorar schon die Kosten für das Medikament eingeschlossen, das Garthaus seinen Klienten in Form von homöopathischen Streukügelchen sofort nebst Gebrauchsanweisung mit auf den Weg gab. Welch eine Unsumme von Konsultationen war da wohl nötig, um ein so erkleckliches Jahreseinkommen zu schaffen! Der Wolbecker Wunderdoktor fertigte denn auch an einem Tage 150 bis 200 Patienten mit Eleganz ab. Auch die Kranken und Bresthaften [=Körperbehinderte] waren täglich in ganzen Scharen zur Stelle und heischten flehend Hilfe.
Da aber selbst ein Wunderdoktor eine solche tägliche Konsultation und Ordination von den Kranken auf die Dauer nicht aushält, so kam Garthaus auf den klugen Gedanken, seine Sprechstunden auf drei Tage in der Woche zu beschränken. An den Tagen nach der Ordination pflegte der 'Doktor' nunmehr der Muße und ergänzte seine Handapotheke. Eine besondere Bequemlichkeit für die Kranken bestand darin, daß ihr persönliches Erscheinen vor dem Arzt garnicht nötig war; es genügte, wenn der Patient jemanden mit einem Fläschchen, das frischen Urin des Leidenden enthielt, nach Wolbeck entsandte und durch den Boten die Krankheit genau beschreiben ließ. Dann wußte 'Doktor' Garthaus schon genau Bescheid und ordinierte sofort Aconit oder Belladonna oder Sulphur oder Digitalis, glücklicherweise nur in Form von harmlosen homöopathischen Streukügelchen. Das Urinfläschchen spielte bei der Diagnose die Hauptrolle; es imponierte den westfälischen Bauern ganz gewaltig, wenn der 'Doktor' den Inhalt des Fläschchens lebhaft schüttelte, es mit prüfenden Blicken alsdann gegen das Licht hielt und nach einigem Besinnen sagte: "Dem Kranken fehlt das und das; wir werden ihm wohl wieder auf die Beine helfen!"
So schnell hat's ein studierter Arzt freilich nicht erfaßt; aber dem Volke gefallen und imponieren nun einmal die schnellen Entschlüsse und so ein wenig Hokuspokus. Die bewußten Fläschchen, im Volksmunde plattdeutsch 'Püllkes' genannt, wurden von den Leuten nach der Konsultation meist in der Nähe in den Chausseegraben geworfen, wo man sie zu Hunderten liegen sehen konnte. Schubkarrenweise mußten die 'Püllkes' von Zeit zu Zeit entfernt werden. Die Kranken, die nach dem münsterländischen Mekka pilgerten, litten meist an schweren, zum Teil chronischen Leiden und waren durchweg schon bei mehreren studierten Ärzten in Behandlung gewesen. Der Schwerkranke greift ja nach jedem Strohhalm, der ihn retten könnte, vertraut auf jedem auch noch so schwachen Hoffnungsschimmer. Unter den Garthausschen Patienten fanden sich zuweilen auch vornehme Leute, meist Frauen aus dem nahen Münster. [..]
Vor wenigen Jahren schaffte sich Garthaus, der inzwischen ein reicher Mann geworden war, zum Schutze gegen Strolche, Räuber und Einbrecher eine auf den Mann dressierte riesige dänische Dogge an. Das Tier hing aber mehr an der Hausfrau, die den Hund täglich fütterte, als an seinem vielbeschäftigten Herrn, fiel diesen eines Tages, als er im Gespräch seiner Frau die Hand auf die Schulter legte, mit rabiater Wut an und zerfleischte ihm fürchterlich den rechten Arm. Zur Behandlung der schweren Bißweunde, die bösartig geworden war, ließ sich Garthaus, um keinen Münsterischen 'Kollegen' nötig zu haben, einen jungen Arzt aus Berlin kommen. Seit jener Zeit hat Garthaus gekränkelt, und die homöopathischen Milchzucker-Kügelchen wollten nicht mehr helfen. Ein Sohn des Verstorbenen ist übrigens Mediziner geworden."
Di 12.01.1909: Bei der Gemeindeverordnetenwahl für das Wigbold Wolbeck wird für den kürzlich verstorbenen Karl Ostrop der Gutsbesitzer Ewald Bischoff-Frohnhof berufen.
Sa 23.01.1909: Das Kirchspiel Wolbeck bestätigt in seiner Amtsverordnetenwahl den Gutsbesitzer Franz Overmann. Für den Gastwirt Elberfeld wird Apothekenbesitzer Gerhard Hoebink gewählt.
Sa 23.01.1909: Der Wolbecker Kriegerverein feiert im Saale Lasthaus den 50sten Geburtstag des Kaisers. An Stelle des verstorbenen bisherigen Vorsitzenden, Oberleutnant a.D. Schürmann, begrüßt der neu gewählte Vorsitzende Ewald Bischoff die Gäste. Oberst Hürkamp hält die Festrese, es spiel die Wolbecker Stadtkapelle.
Do 28.01.1909: Seit zwei Wochen herrscht Dauerfrost mit nächtlichen Tiefsttemperaturen um -6 Grad Celsius.
Fr 29.01.1909: In der Gaststätte Elberfeld findet unter dem Vorsitz von Gutsbesitzer Paul Schenking eine Versammlung des Vorstandes des Landwirtschaftlichen Lokalvereins Wolbeck statt. Der Kassenbericht ergibt einen Barbestand von 620 Mark.
Fr 05.02.1909: Nach schweren Regenfällen und heftigem Tauwetter liegen die Flusspegel nur noch zwanzig Zentimeter unter der Hochwasserlinie des Jahres 1890. Der Wasserspiegel der Werse steigt täglich um einen halben Meter, allerdings ist der Fluss mittlerweile eisfrei. Bei Dauerregen zieht heute zudem ein schwerer Sturm auf.
So 07.02.1909: Bei Lasthaus findet der öffentliche Fastnachtsball statt.
Di 16.02.1909: In Distrikt 73 des Wolbecker Tiergartens werden 169 Eichen und 123 Buchen verkauft.
Mo 01.03.1909: Als der jung verheiratete Kötter Bröskamp seinen erkrankten Sohn zum Wolbecker Krankenhaus fährt, wird er von seinem Pferd in den Finger gebissen. Nach wenigen Tagen sind Hand und Arm stark angeschwollen, kurze Zeit später stirbt er an einer Blutvergiftung.
Fr 12.03.1909: Als der 11jährige Sohn des Küfers Schulz den Heimweg von der Schule abkürzen will, bricht er durch das Eis auf der Angel. Der auf dem benachbarten Mühlendamm beschäftigte Bautechniker Heinrich Schapmann kann den Jungen vor dem Ertrinken retten.
Fr 19.03.1909: Auf dem Kolonat Garthaus steht wegen Aufgabe der Ackerwirtschaft das Vieh und die entsprechenden Gerätschaften zum Verkauf.
Fr 26.03.1909: Unter dem Vorsitz des Gutsbesitzer Alex Möllenbeck findet im Thierschen Lokal die Generalversammlung der Wolbecker Spar- und Darlehnskasse statt. Der Umsatz im vergangenen Jahr beträgt 174.200 Mark bei einem Reingewinn von rund 258 Mark. Der Zinsfuß für Einlagen wird ab dem 1. April von 4 auf 3,5 Prozent herabgesetzt.
Fr 02.04.1909: In einer Zeitungsanzeige kündigt Dr. Wilhelm Lackmann jun. die Übernahme des Kurhauses von seinem Vater an. Die im Handelsregister unter A 169 eingetragene alte Firma wird am 14. Mai des Jahres gelöscht.
Do 22.04.1909: In der Amtsverordnetenversammlung des Amtes Wolbeck wird der bisherige Kassenverwalter A. Overmann zum Gemeindeempfänger gewählt und auf Lebenszeit angestellt.
So 02.05.1909: Die Ortskrankenkasse Wolbeck hält in der Gastwirtschaft Fels in Albersloh ihre Generalversammlung ab. Wegen unzureichender Beteiligung der Wahlberechtigten können keine Entscheidungen beschlossen werden. Die Sitzung wird am 6. Juni des Jahres wiederholt.
So 02.05.1909: Die Gastwirtschaft am Bahnhof Wolbeck steht ab dem 1. Oktober des Jahres zum Verkauf.
Sa 08.05.1909: Die Westfälische Landeseisenbahn streicht im Sommerfahrplan den Abendzug von Neubeckum nach Münster. Damit fährt der letzte Zug von Wolbeck nach Münster statt wie bisher um 21:23 Uhr bereits um 20:17 Uhr ab. Für die sonntäglichen Ausflügler aus Münster bedeutet dies eine Einschränkung.
Mo 10.05.1909: In der Gemeinde Kirchspiel Sendenhorst wird der chausseemäßige Ausbau der 4300 Meter langen Wegstrecke nach Wolbeck öffentlich ausgeschrieben.
So 16.05.1909: Die Freiwillige Feuerwehr Wolbeck feiert ihr erstes Stiftungsfest im Saale der Witwe Lasthaus mit zahlreicher Beteiligung der Wehren aus dem Umland. (In diesem Zusammenhang muss vermutlich auch eine Zeitungsanzeige gesehen werden, die für denselben Tag eine Karussell-Belustigung in Wolbeck ankündigt)
Sa 22.05.1909: Nach einer kühlen und unfreundlichen ersten Maihälfte herrscht seit der Monatsmitte schwülwarmes Sommerwetter. Heute werden Temperaturen von 28 Grad Celsius gemessen, nachts zieht ein schweres Gewitter auf.
Mi 26.05.1909: In der Nacht bricht gegen 2 Uhr ein Brand im Wohnhaus des Arbeiters K. aus. Die Nachbarn können die Familien K. und W. und das Vieh noch mit knapper Not retten. Das Haus brennt vollständig nieder, der gesamte Hausrat geht verloren.
Fr 28.05.1909: Auf der Generalversammlung des Landwirtschaftlichen Lokalvereins im Lokal des Gastwirts Lohmann in Rinkerode werden der Vorsitzende P. Schenking und sein Stellvertreter A. Möllenbeck wiedergewählt.
Mo 31.05.1909: Der Mai geht deutlich zu trocken zu Ende. Im gesamten Monat wurden nur 15 Millimeter Regen gemessen, der fast ausnahmslos aus dem Gewitter vom 23. Mai stammt.
Mo 31.05.1909: Nachdem beim Kolon Homann im Kirchspiel Wolbeck drei Kühe verendet sind, stellt der Tierarzt eine Vergiftung durch Mennige fest, mit dem die gesamten landwirtschaftlichen Geräte gestrichen worden waren.
Mi 02.06.1909: Heute wird mit 30 Grad der bisher wärmste Tag des Jahres gemessen. Bei einem schweren Gewitter ab den Mittagsstunden ohne nennenswerte Regenfälle fällt die Temperatur bis zum Abend auf 8 Grad Celsius. Ab dem 7. Juni tritt wiederholt Nachtfrost auf.
Mo 07.06.1909: Durch Vergiftung mit Raupen des Eichenprozessionsspinners verliert der Pächter Everding auf Gut Berl vier wertvolle Kühe.
Fr 18.06.1909: An der neuen Chaussee von Wolbeck nach Telgte beginnen die Bauarbeiten.
Fr 25.06.1909: Gegen 12:30 Uhr bricht in der Gaststätte Stutter (vormals Röhr) in der Oststraße(!) ein Feuer auf der Diele aus, das rasch auf die beiden Nachbarhäuser übergreift. Die Freiwillige Feuerwehr Wolbeck kann mit Hilfe der Wehren aus Alverskirchen und Everswinkel die Nachbarhäuser retten, die Gaststätte brennt jedoch zusammen mit dem Nebengebäude bis auf die Grundmauern nieder. Das Vieh kann vollständig und das Mobiliar teilweise gerettet werden. Stutter hatte die Wirtschaft erst am 1. April des Jahres übernommen.
Am 29. Juni bedankt sich Heinrich Stutter in einer Zeitungsanzeige bei den beteiligten Feuerwehren und gibt seine Entscheidung bekannt, Bäckerei und Wirtschaft weiterzuführen.
Di 06.07.1909: Der Landbriefträger Hermann Reisener hat das Allgemeine Ehrenzeichen erhalten.
Mi 07.07.1909: Das Tierschaufest des Landwirtschaftlichen Lokalvereins wird in den Anlagen des Gastwirts Grauße in Alverskirchen gefeiert.
Do 15.07.1909: Bei der Kreistierschau in Havixbeck gewinnt Ewald Bischoff für seine Kühe und Schweine mehrere erste Preise.
So 18.07.1909: In Wolbeck wird das Margarethenfest gefeiert. Die WLE setzt einen Sonderzug ein. (Anmerkung: Warum dieser Sonderzug morgens von Wolbeck nach Münster und abends wieder zurück nach Wolbeck fährt, wird wohl ungeklärt bleiben müssen.)
Mo 19.07.1909: In Wolbeck wird der Kram- und Viehmarkt abgehalten.
Mo 19.07.1909: Der Kriegerverein Wolbeck feiert das diesjährige Kriegerfest in den Räumen der Witwe Lasthaus.
Di 03.08.1909: Anhaltendes Regenwetter verzögert die Roggenernte.
Mo 09.08.1909: Nachdem bereits um 8 Uhr morgens Temperaturen um 25 Grad Celsius gemessen werden, bilden sich mittags schwere Gewitter mit ergiebigen Niederschlägen.
Mo 20.09.1909: Angesichts des forstwirtschaftlichen Raubbaus im Wolbecker Tiergarten verhängt der Oberpräsident des Landes Westfalen einen Bestandsschutz für die Sektion 74. Dort befinden sich fast ausnahmslos mehr als 300jährige Eichen und Buchen. (Anmerkung: Der Bestandsschutz bleibt wirkungslos, die Bäume werden in den folgenden Jahren dennoch restlos gefällt und verkauft. Im Westteil dieser Sektion befindet sich seit dem Jahre 1953 eine Naturwaldzelle.)
Do 07.10.1909: Trotz der zeitweise schlechten Aussichten wird mit einem Ertrag von 80 Prozent über dem Durchschnitt die beste Roggenernte seit dem Jahre 1864 eingefahren. Auch Weizen, Gerste und Hafer haben gute Erträge gebracht. Der erste Grasschnitt fiel spärlich aus und musste trotz Dauerregens eingebracht werden, während die ergiebige Grummeternte die Lücke ausfüllen konnte.
Do 21.10.1909: Die Wege des Tiergartens sind mit Bucheckern übersät. Der ungewöhnliche Witterungsverlauf des Jahres hat für ein überreiches Auftreten gesorgt.
Sa 23.10.1909: Wegen Bauarbeiten wird der Weg von Wolbeck nach Telgte bis auf Weiteres für Fuhrwerke gesperrt.
So 24.10.1909: In der Gaststätte Stratmann in Angelmodde findet eine Wanderversammlung des Landwirtschaftlichen Lokalvereins Wolbeck statt. Es spricht Direktor Schweitzer aus Salzkotten über das Thema "Welche wirtschaftlichen Fehler finden sich auf den meisten Bauernhöfen?".
Sa 06.11.1909: Die Einbruchsversuche in das Kolonialwarengeschäft B. und die Gaststätte S. scheitern an den wachgewordenen Einwohnern.
So 26.12.1909: Der MGV "Eintracht" führt im Saal der Gaststätte Lasthaus den Einakter "Dornröschen" von Hopfner auf.
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